Nachbericht zum Themenabend am 16.10. 2019

Impulsreferate von Sabine Gstöttner (Treffpunkt Essling) und Eveline Hendekli (Grätzlgenossenschaft)

Moderation: Wolfgang Gerlich

Foto: HuFra

Zu Beginn zeichnet der Moderator Wolfgang Gerlich das Thema in einem schönen Bild:

„Natürlich ist die eigene Wohnung quasi DAS Zuhause schlechthin; aber eigentlich gehört auch der Gang des Hauses dazu – ja, genau genommen das ganze Haus. Und natürlich auch die Straße, in der wir wohnen – und irgendwie das nähere Umfeld usw. usf.
Und wie wir in unserer Wohnung besonders geliebte und gemütliche Plätzchen haben, so brauchen wir diese auch im „weiteren Zuhause“ um uns dort wohl und geborgen zu fühlen.“

Ein Gedanke, der auch am Beginn der Initiative „Treffpunkt Essling“ stand: „Mittendrin und doch daheim“ ist das Motto dieser Initiative, in die Gewerbetreibende ebenso eingebunden sind, wie Privatpersonen (von Kindern und Jugendlichen bis hin zu Senior*innen), Vereine, Initiativen und Bildungseinrichtungen.

Zunächst berichtete Sabine Gstöttner über dieses erfolgreiche, dreijährige Projekt, das jetzt zu Ende geht. Es konnten viele kulturelle und soziale Projekte initiiert u/o unterstützt werden. – Im Zentrum dieser Bemühungen stand einerseits der gemeinschaftlich genutzte „Tresor“ (eine ehemalige Bankfiliale) und „Möglichkeitszonen“ im öffentlichen Raum. Nun, da die Räumlichkeiten nicht mehr zur Verfügung stehen und das wissenschaftlich begleitete Projekt zu Ende geht, sollen die dabei entstandenen Vernetzungen und Initiativen selbstständig weitergehen und sich verbreiten. – ein Plan der aufzugehen scheint.
(Details s.u.)

(c) Manfred Schmid Fotography and Film

Erst am Beginn ihrer Tätigkeit steht die Grätzl-Genossenschaft, über die Eveline Hendekli berichtete: Die Idee dabei ist, dass sich Bewohnerinnen und Gewerbetreibende zusammenschließen um Gegenstände, Räume und Dienstleistungen zu teilen. Die Organisation als Genossenschaft bietet einen organisatorischen und ökonomischen Rahmen für vielfältige Vernetzungen und ermöglicht es gemeinsam Dinge oder Dienstleistungen anzukaufen, die für Einzelne nicht leistbar sind. Als Mitglied hat man vergünstigten Zugang zu diesen gemeinschaftlichen Errungenschaften und auch ein Mitbestimmungsrecht bei Neuanschaffungen. (Details s.u.)

In der anschließenden Diskussion kamen verschiedene v.a. praktische Fragen zur Sprache, aber auch grundsätzliche Fragen wie etwa Möglichkeiten und Grenzen ehrenamtlicher Arbeit kamen zur Sprache (Details siehe unten).

 

Sabine Gstöttner zum Treffpunkt Essling:

Die Idee war, das „Ortszentrum“ (das rein architektonisch noch existierte) wieder zu einem Zentrum des Gemeinschaftslebens zu machen. Es sollte

  • ein soziales Netzwerk aufgebaut
  • der (weitgehend ungenutzte) Öffentliche Raum aufgewertet
  • die lokale Wirtschaft unterstützt
  • und die Gesundheit der Bewohner*innen von Essling gefördert werden.

Eine wichtige Rolle spielte dabei der „Tresor“: eine aufgelassene Bankfiliale, die dem Verein als Zwischennutzung für knapp zwei Jahre zu einer geringen Miete überlassen wurde. In diesem selbst gestalteten und selbstverwalteten Zentrum fanden Musikgruppen ebenso einen (temporären) Standort wie EPUs; ein besonderes Highlight war der SPIEL(T)RAUM für Kinder und ihre Eltern, in dem Kinder mit bereit gestellten Materialien ihre eigenen Spielwelten erschaffen und die Eltern sich in gemütlicher Atmosphäre vernetzen konnten. Popup-Stores von der Bäckerei bis zum Weinhändler, ein Café- und Barbereich zum Netzwerken und Plaudern, ein offenes Bücherregal und vielfältige kulturelle Aktivitäten rundeten das Angebot ab.

Im öffentlichen Raum boten die „Möglichkeitszonen“ Gelegenheiten für vielfältige Aktivitäten: In Absprache mit den Grundeigentümern fanden Kochabende ebenso statt wie Konzerte oder gemeinsames Turnen. Besonders erfreulich war, dass auch Jugendliche sich mit eigenen Ideen wie dem „Parkour“ beteiligten.

(c) Verein Treffpunkt Essling

Da die Schließung des „Tresor“ absehbar war, legten die Initiator*innen besonderen Wert darauf, dass im Anschluss möglichst alle alten und neu entstandenen Initiativen und Angebote im Rahmen des im Lauf des Projektes entstandenen Netzwerkes weiterleben und sich weiter entwickeln können. – Dieses Ziel scheint nach aktuellem Stand erreicht: Ausgehend vom früher zentralen „Tresor“ haben praktisch alle Akteur*innen einen neuen Standort gefunden und bilden nun ein Netzwerk an attraktiven Punkten für die Bewohnerinnen und Bewohner von Essling und die Nachbargemeinden.

(c) Verein Treffpunkt Essling

Ein schönes, vorweihnachtliches Zeichen der Hoffnung sind die „Sterne für Essling“: die von vielen gewünschte Weihnachtsbeleuchtung wird 2019 durch eine Crowdfunding-Aktion gemeinschaftlich ermöglicht!

Das Projekt wurde über einen Zeitraum von 3 Jahren von der Wirtschaftsagentur und vom Fond Gesundes Österreich gefördert und von der Referentin und ihrem Team wissenschaftlich begleitet.

 

Eveline Hendekli zur Grätzl-Genossenschaft

So ähnlich die Impulse und Ziele, so unterschiedlich die Wege: Auch die Grätzl-Genossenschaft möchte das Gemeinschaftsleben fördern, Menschen miteinander vernetzen um Dienstleistungen, Gegenstände und Räume leistbarer zu machen. Der Weg dazu führt über gemeinschaftliche Anschaffungen und organisierte gemeinsame Nutzung. Die klassische Aufgabe für eine Genossenschaft ist gewerbliche Tätigkeit. Sie ist aber in erster Linie ihren Mitgliedern verpflichtet, denen sämtliche Dienstleistungen zugutekommen. Traditionell wird sie von ihren Mitgliedern gemeinschaftlich und selbstverwaltet betrieben.

Auch hier steht ein eindrucksvolles Bild am Beginn des Referats: die Gegenüberstellung vom dzt. üblichen Leben Einzelner: jedem das Seine – ganz allein: mit vollen Kosten und „Kästen“ voller nur gelegentlich genutzter Dinge. – Demgegenüber das Bild einer Gemeinschaft, die Kosten und Nutzen möglichst gerecht teilt.

Das erste Projektgebiet der Grätzl-Genossenschaft ist das Stadterweiterungsgebiet in der Berresgasse in Hirschstetten. Hier soll zwischen bestehenden Siedlungen und Genossenschafts- wie Gemeindebauten ein großes neues Wohnbauprojekt mit rund 3000 Wohnungen entstehen. Damit in diesem großen und diversen Lebensraum auch ein möglichst enges Miteinander entstehen kann und sich „alte“ und „neue“ Bewohner*innen vernetzen, scheint die Gründung der Grätzl-Genossenschaft genau das richtige Mittel:

Sie kann den rechtlichen, ökonomischen und organisatorischen Rahmen für nachbarschaftliche und gemeinnützige Aktivitäten bieten; Investitionsgüter und Dienstleistungen können gemeinsam (und folglich oft sogar günstiger) eingekauft und genutzt werden. Je mehr Mitglieder sich in der Genossenschaft zusammenschließen und je vielfältiger die Mitgliederstruktur ist, desto mehr können sich alle gemeinsam leisten!

Mitglieder beteiligen sich mit einer einmaligen Einlage und zahlen in der Folge einen Mitgliedsbeitrag. Sie haben ein Stimmrecht in den Versammlungen, in denen z. B. Exekutiv-Organe gewählt und zukünftige Anschaffungen beschlossen werden. Außerdem haben sie freien Zugang zu einem Basis-Paket von Nutzungen und Dienstleistungen; sollten sie mehr davon in Anspruch nehmen, so zahlen sie einen fairen Kostenanteil.

Die Genossenschaft steht in den Startlöchern: derzeit ist das „Zentrum“ in einem Container auf der „grünen Wiese“, in dem bereits Veranstaltungen und Workshops stattfinden .. Zu den (bereits bestehenden und geplanten) Angeboten zählen z. B.:

  • ein offener Bücherschrank
  • Food-Sharing, Fair-teilen und die Vernetzung von Food-Coops
  • Leihräder, Lastenräder und Fahrradanhänger
  • ein Liefer- und Transportservice
  • eine offene Werkstatt mit regelmäßigen Reparatur-Cafés
  • Werkzeugverleih und Workshops

Die Idee wäre, dass die Grätzl-Genossenschaft nach und nach in mehreren Projektgebieten aktiv ist: mit getrennten Verrechnungskreisen für einzelne Standorte, aber auch mit gemeinschaftlichen Angeboten und Anschaffungen, die für einen einzelnen Standort nicht leistbar wären (z.B. Transporter); auch Querfinanzierungen wären so möglich.

Aus der Diskussion:

In der anschließenden Diskussion wurden besonders folgende Punkte angesprochen:

  • Bei gemeinschaftlich genutzten Räumlichkeiten ergeben sich „natürlich“ die typischen „WG-Probleme“, aber ernstere Schwierigkeiten gab es zumindest in Essling nicht.
  • Für jede (v.a. für primär ehrenamtlich getragene) Initiative ist eine zentrale Person, die sich „darum kümmert“ wichtig. Diese sollte einen engen Bezug zum Thema/zur Gegend haben. Wenn sie – etwa im Rahmen der Anstellung bei einer Genossenschaft oder eines Projekts bezahlt agieren kann, so ist das unzweifelhaft von Vorteil!
  • Zu den Nachteilen einer Genossenschaft gehört, dass man in Kauf nehmen muss, dass u. U. die Gemeinschaft der Beteiligten irgendwann auch Beschlüsse fasst, die den Ideen der Gründer*innen widersprechen (z. B. bezüglich Nachhaltigkeit)
  • Der Vertreter der „Kreativen Räume“ interessierte sich besonders für konkrete Ideen und Pläne des Matznerviertels und verwies auf die Möglichkeiten und Grenzen verschiedener Angebote der Stadt Wien (Stichwort Gebietsbetreuung) sowie auf die Raumteiler-Plattform. Er regte auch an, dass entweder das Matznerviertel oder die 14er-Melange Raumangebote und Raumsuchende im näheren Umfeld bei der Vernetzung unterstützen könnten – das ist allerdings dzt. nicht möglich, da dafür die personellen Ressourcen fehlen.
  • In diesem Zusammenhang erinnerten Besucher*innen daran, dass ehrenamtliche Arbeit immer einen persönlichen Mehrwert bringt, auch, wenn er nicht in Geld zu messen ist. Aber auch daran, dass es sinnvoll und kraftsparend ist, wenn ehrenamtliche Arbeit professionell von einer eigens dafür angestellten Arbeitskraft gemanagt werden kann. – Man vermeidet so Reibungsverluste und Doppelgleisigkeiten.
  • Erwähnt wurde auch, dass die „Sargfabrik“ eigentlich viele Angebote im Grätzl zur Verfügung stellt, die aber aus unterschiedlichen Gründen nicht von allen angenommen werden (können). – Vielleicht wäre eine engere Vernetzung möglich um Synergie-Effekte besser nutzen zu können!?
  • Ob aus zeitlichen Gründen oder weil niemand da war, der/die sich zu Wort melden wollte: Die Wünsche von Menschen aus der unmittelbaren Nachbarschaft kamen kaum zur Sprache.
    Ausnahme: ein Angebot zur Mitnutzung eines geplanten Gastronomie-Lokals während der Schließzeiten.