„Alt werden ist nichts für Feiglinge“. Dies soll Mae West, die Verwegene aus Hollywood, gesagt haben. Nestroy hält fest: „Jeder möchte lange leben, aber keiner will alt werden“. Niemand will alt werden, aber was ist die Alternative? Früh sterben? Nein, gesund alt werden. Ein Bericht über unseren Themen-Abend vom 8. Oktober 2018.

Mag.a Ursula Hübel, Wiener Gesundheitsförderung und Dr.in Karin Kienzl-Plochberger, Wiener Sozialdienste, stellen das Projekt „Gesund älter werden in Wien“ vor. Die “Wiener Gesundheitsförderung” ist Teil der Wiener Stadtverwaltung und fungiert als Projektträgerin. Auftragnehmerin ist eine Arbeitsgemeinschaft von Wiener Sozialdienste, Wiener Hilfswerk – Nachbarschaftszentren, queraum. kultur- und sozialforschung. und Universität Wien. Die Evaluation übernimmt FH Campus Wien.

Das Projekt „Gesund älter werden in Wien“ läuft seit November 2017 und endet im Jänner 2020. Es wird in neun Wiener Bezirken (3., 4., 7., 9., 11., 12., 14., 17., und 23.) umgesetzt und richtet sich an nicht mehr erwerbstätige Frauen und Männer im Alter von etwa 60 bis 75 Jahren, mit dem Fokus auf einsame Menschen, Menschen mit niedrigem Einkommen, geringer Bildung, Migrationshintergrund und Behinderung

Besonders hervorzuheben ist der weite Gesundheitsbegriff. Durch das Projekt sollen bei den betroffenen Menschen Verbesserungen in Bezug auf seelische Gesundheit, soziale Teilhabe, Bewegungsverhalten, Gesundheitskompetenz und damit der Lebensqualität erreicht werden. Ein wichtiges Element dabei ist die Partizipation der Zielgruppe in allen Projektphasen und darüber hinaus. Und natürlich, das Projekt ist so angelegt, dass es nachhaltig wirkt.

Analysiert wurden bisher Nutzungsverhalten (Bewegungsprofil) und Angebotsstrukturen in Bezirken und Grätzeln. Ziel war möglichst viel darüber zu erfahren, was den Menschen wichtig ist, was sie bisher bereits schätzen und was ihnen fehlt. Jetzt geht es bereits darum partizipativ Maßnahmen zu entwickeln, Aktivitäten zu planen, zu organisieren und letztlich natürlich durchzuführen. Mit Unterstützung der Projektmitarbeiter*innen werden Grätzel- und Kooperationsinitiativen angeregt. Der Einsatz von Multiplikator*innen soll sowohl eine gute Breite der Maßnahmen als auch die Nachhaltigkeit fördern.

Dies alles erfolgt durch direktes Ansprechen und Aktivieren der Menschen in ihrem Wohnumfeld, Veranstaltungen (wie z.B. Wasserweltfest, Soziales Wohnzimmer Meidling, SeniorInnentag, Nachbarschaftstag in der VHS, uvm.), Aussendung der MA 40 an Mobilpass-Besitzer*innen, Medienarbeit, Stadtteilbegehungen und vor allem aber Gruppenangebote wie das Grätzel-Café. Alle Angebote sind kostenfrei.

Das Grätzel-Café

Grätzel-Cafés werden von April 2018 bis August 2019 angeboten, bisher waren bereits 49! Es wird zum „unverbindlichen Vorbeischauen“ eingeladen. Mit herzlicher Gastfreundschaft in gemütlicher Atmosphäre kommt man sich näher, lernt sich kennen und baut Vertrauen auf. Ideen, Wünsche und Bedarfe werden gesammelt und diskutiert.

Die Grätzel-Cafés fanden an unterschiedlichen Orten statt: in den Nachbarschaftszentren des Wiener Hilfswerks, in Pensionistenklubs der Stadt Wien (KWP), im Verein „Mitten in Hernals“ und in der Volkshochschule Erlaa. Nicht ganz überraschend wurde festgestellt, dass ca. 80 % Besucherinnen kamen und ca. die Hälfte aller Deutsch als Muttersprache hatte. Im Schnitt treffen sich 8–10 Personen, es kamen aber auch schon bis zu 20 Menschen.

„Warum besuche ich ein Grätzel-Café? Was gefällt mir daran?“

„… dass man unterschiedliche Menschen trifft. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen in der Gruppe ehrlich sind, auch wenn man unterschiedliche Meinungen hat.“

„… im Kaffeehaus kommuniziert man nicht mit Menschen. Da geht man hin und sitzt für sich.“

„… es ist gut, dass es einen Rahmen gibt, und dass man sich austauschen und auf Augenhöhe diskutieren kann.“

„… und dass Krankheit nicht im Vordergrund steht.“

Bisher haben sich bereits folgende Aktivitäten aus den Grätzel-Cafés entwickelt

  • Grätzel-Spaziergänge/ Führungen
  • Garteln ums Eck
  • Besuch von Aktivparks
  • Führung durch den Botanischen Garten
  • Exkursion Matznerviertel und Wohnprojekt Sargfabrik
  • Kochen in der Pfarre
  • Besuch des Pflegewohnhauses Meidling

Vorträge

  • Soziale Sicherheit und Beratungsmöglichkeiten in Wien – Wiener Hilfswerk
  • Sicherheit im öffentlichen Raum – Grätzelpolizei
  • Wohnen in Wien – Mobile Mieterhilfe (Wohnservice Wien Ges.m.b.H.)

Vorträge in Planung

  • Diabetes und Cholesterin
  • Soziale Sicherheit und Beratungsmöglichkeiten in Wien
  • Patient/innenrechte (Vertretungsbefugnis, Patient/innenverfügung, Vorsorgevollmacht,……)
  • Wohnformen für Senior/innen

Initiativenförderung

Die spezielle Förderschiene der Wiener Gesundheitsförderung ermöglicht es, gesundheitsförderliche Ideen von Privatpersonen sowie von gemeinnützigen Vereinen und Organisationen auch finanziell zu unterstützen. Dies ist derzeit möglich in den Bezirken, in denen das Programm „Gesunde Bezirke“ umgesetzt wird (2, 5, 6, 10, 15, 16, 20, 21, 22) und im Rahmen unterschiedlicher Projekte, u.a. „Gesund älter werden in Wien“ sowie im „Netzwerk Gesund im Wiener Kindergarten“. Es werden aber nur neue Aktivitäten gefördert, keine, die bereits im Regelbetrieb implementiert sind.

Grätzelinitiativen

  • Team aus zumindest zwei (Privat-) Personen.
  • Bis zu 300 € finanzielle Unterstützung für Sachkosten durch die Wiener Gesundheitsförderung möglich
  • Ansprechperson: Mag.a Nina Hesse
  • Projektbüro „Ihre gesunde Idee für den Bezirk!“
    Obere Donaustraße 59/7a, 1020 Wien
    Telefon: 01 / 958 09 11
    E-Mail: gesund-aelter@gesunde-idee.at

Kooperationsinitiativen

  • gemeinnützige Vereine, Organisationen, …
  • Bis zu 3.000 € finanzielle Unterstützung für Sachkosten durch die Wiener Gesundheitsförderung möglich
  • Ansprechperson: Laura Anna Buchner, MSc
    Wiener Gesundheitsförderung
    Treustraße 35-43, Stiege 6, 1. Stock, 1200 Wien
    Telefon: 01 / 4000 76 931
    E-Mail: gesund-aelter@wig.or.at

Diskussion

Von Seiten der Teilnehmer*innen wurde das präsentierte Projekt mit großem Interesse diskutiert. Diese Form der Aktivierung und Einbindung von Betroffenen wurde als eine hervorragende Möglichkeit gesehen ihre Gesundheitskompetenzen zu fördern, soziale Kontakte zu stärken und so wesentlich zu mehr Lebensfreude beizutragen.

Von Seiten der Gruppe „Lebenswertes Matznerviertel“ bestand großes Interesse an Ergebnissen, die speziell das Matznerviertel betreffen. Die Stadtteilerhebung wird gegen Jahresende veröffentlicht, Frau Hübl würde auch die Interview-Fragen zur Verfügung stellen, wenn das Lebenswerte Matznerviertel selbst „Grätzel-Sparziergänge“ machen möchte. Als weitere Idee wurde von den Referent*innen die Durchführungen von Fokusgruppen vorgeschlagen.

Eine Teilnehmerin fragte bezüglich der Kontinuität der Besucher*innen der Grätzel-Cafés nach. Die Referent*innen berichteten über die Erfahrung, dass die Heterogenität der Besucher*innen der Grätzel-Cafés durchaus eine Herausforderung darstellt. In Folge wurde dann auch darüber gesprochen, dass hier auch die etablierten Organisationen im Rahmen der sozialen Arbeit bzw. der Gemeinwesenarbeit in Verantwortung sind.

Eine andere Teilnehmerin regt an, einen erweiterten Zugang zur Evaluation zu suchen und eben nicht nur darauf zu schauen, was kurzfristig am Ende eines Projektes bereits sichtbar ist, sondern auch darauf, was durch solche Projekte langfristig in Bewegung gekommen ist.

Karin Kienzl-Plochberger fasst zusammen, dass es beim Projekt „Gesund älter werden in Wien“ darum geht, Menschen zur Selbständigkeit bzw. Selbsttätigkeit führen, bzw. sie darin langfristig zu stützen und zu stärken. Es geht um das Erfahren, was bis ins hohe Alter möglich ist, es geht darum Mut zu machen.

Und zudem geht es um Lernprozesse für Einrichtungen, sie zu ermutigen und zu befähigen gemeinsam mit den Menschen entwickeln und zu gestalten.

Auf dass es auch Freude macht alt zu werden und zu sein!