Kunst und Kultur genießen, etwas über die lokale Geschichte und aktuelle Entwicklungen erfahren – das können wir immer, wenn wir im öffentlichen Raum unterwegs sind. Als Einladung, bei den Alltags- oder Freizeitwegen die Stadtlandschaft, die Gebäude sowie bestimmte Details an den Fassaden bewusster wahrzunehmen und auch einmal vom kürzesten Weg abzuschweifen, ist diese Fotorätsel-Serie gedacht.

Dabei werden wir unsere „Kalebasse“ Matznerviertel (danke Florian Holzer für diesen Hinweis!) manchmal auch verlassen und bis an die weiten Grenzen Penzings gehen, die vielfältige Stadt- und Landschaften umschließen. Lassen Sie sich überraschen und halten Sie die Augen offen!

Fotorätsel M-03:

Wo im Matznerviertel gibt es eine Kleingartenanlage?

Diese Antwort kam von Matthias L. (vollständiger Name der Redaktion bekannt):

„Eine Kleingartenanlage gibt es entlang der S-Bahnstrecke.“

 

Herzliche Gratulation dem Gewinner von zwei Tickets für die sogenannte Klimt Villa, die in einem sehr schönen Garten liegt. (Link: https://www.klimtvilla.at/)!

 

 

Auflösung:

Diese Kleingartenanlage der ÖBB entlang der Vorortelinie (S45) besteht nur aus 3 Parzellen, zwei davon an der Amortgasse, eine an der Drechslergasse.

Anlass für dieses Fotorätsel war und ist, dass Kleingärten im Bezirk Penzing bis heute eine große Rolle spielen – es gibt aktuell 22 Vereine mit insgesamt rund 3300 Parzellen (in ganz Wien sind es rund 25.000).

Die Kleingartenbewegung wurde an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert zu einer emanzipatorischen Bewegung „von unten“, als Menschen sich in Vereinen zusammenschlossen um gemeinsam das zu schaffen, was den einzelnen nicht möglich war. Motivation waren einerseits lebensreformerische Ideen als Antwort auf die (Umwelt-)Probleme der Städte und der industrialisierten Produktionsformen. Andererseits waren es die existenziellen Bedürfnisse von Menschen, die in ungesunden Wohn- und Arbeitsverhältnissen lebten und kein ausreichendes Einkommen hatten, um sich mit guten Lebensmitteln zu versorgen, geschweige denn Erholung in der „Sommerfrische“ zu finden. (Man denke nur, dass die Tuberkulose hier so verbreitet war, dass sie die „Wiener Krankheit“ genannt wurde!)

Kleingartenbewegung – eine Bewegung “von unten”

Der erste Kleingartenverein Österreichs war der 1895 gegründete „Wiener Naturheilverein“, der in Purkersdorf Grund kaufte. 1909 wurde in Wien der „Verein Schrebergarten in Wien und Umgebung“ gegründet, der 1910 ein Grundstück im Rosental kaufte und es in 270 Parzellen (je 200-600m2) teilte. Damit ist der KGV Rosental einer der ältesten und heute mit rund 900 Mitgliedern auch einer der größten Kleingartenvereine Wiens.

Die Verschärfung des Lebensmittelmangels durch den 1. Weltkrieg und seine Auswirkungen, sowie in der Folge durch die Weltwirtschaftskrise und den 2. Weltkrieg, bedeutete für die Kleingartenvereine großes Wachstum und eine wichtige soziale und wirtschaftliche Rolle für die Lebensmittelversorgung. Zentrum des sozialen Lebens waren die Schutzhäuser, die zuallererst Zuflucht bei Schlechtwetter boten, als es nur Gärten, aber noch keine Gartenhäuser gab. Dazu kamen die Funktionen als Lager, Greißlerladen, Versammlungs- und Schulungsraum, Vereinsbüro und schließlich auch Gastronomie und Veranstaltungen.

Mit dem steigenden Wohlstand ab den 1960er Jahren änderte sich die Rolle der Kleingartenanlagen Schritt für Schritt: Areale wurden zugunsten von Wohn- oder Verkehrsbauten aufgegeben, Freizeitnutzung trat in den Gärten in den Vordergrund, Sommerhütten wurden winterfest gemacht, Parzellen teilweise oder vollständig in Autoabstellplätze verwandelt. Die davor widmungswidrige, aber weit verbreitete Praktik des ganzjährigen Wohnens wurde von der Stadt Wien 1992 legalisiert und auch der Kauf der Parzellen wurde ermöglicht. In einem ersten Schritt erhielten dadurch Haushalte, die sich auf dem freien Immobilienmarkt kein Haus mit Garten hätten kaufen können, die Möglichkeit, sich diesen Lebenstraum zu erfüllen. Auf längere Sicht bedeutet es aber, dass die Investition in individuelles Eigentum, das nicht nur vererbt, sondern auch gewinnbringend verkauft werden kann, gegenüber der bedarfsgerechten Nutzung von Gemeinschaftsbesitz ständig an Boden gewinnt. Auf der Website des „KGV Rosental“ kann man lesen: „Anmeldungen für einen Kleingarten können wir nicht mehr entgegennehmen, da unsere Vormerkliste sehr lange ist.“

Das kontinuierlich wachsende Bewusstsein für die Wichtigkeit von Grünraum und die Qualität von Lebensmitteln, sowie das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Identifikation mit der Nachbarschaft haben mittlerweile wieder neue und attraktive Formen des Gärtnerns hervorbracht: Der Matznergarten, der Park GuEL am Laurentiusplatz und viele gepflegte Baumscheiben sind blühende Beispiel dafür.

Quellenangabe und Literaturempfehlung: Der Historiker Peter Autengruber, selber Funktionär in einem Kleingartenverein, hat ein Buch über „Die Wiener Kleingärten“ geschrieben, das 2018 im Promedia Verlag erschien. Er gibt darin einen ausgezeichneten Überblick über Geschichte und Gegenwart der Kleingartenbewegung in Wien. U.a. werden die Vereine Am Ameisbach, Rosental und Spallart vorgestellt.

Zentralverband der Kleingärtner und Siedler Österreichs

Hier findet man eine Karte mit Links zu den Websites der einzelnen Vereine.  Netzwerk Gartenpolylog

Matznergarten

 

Ein neues Fotorätsel folgt im nächsten Newsletter – halten Sie bei Ihren Wegen in Penzing die Augen offen, es lohnt sich auf jeden Fall…

Als Rätselredakteurin freue ich mich auf viel Resonanz!

Mit herzlichen Grüßen,

Felicitas Konecny

 

P.S. Mehr zu meiner Person finden Sie hier: Verein Wiener Spaziergänge http://www.wienguide.at/index.php?page=guides_ex&guide=49