Wer will schon ins Heim? Die meisten von uns möchten wohl ihren Lebensabend in der vertrauten Umgebung verbringen. Doch wie lässt sich das verwirklichen? Wir haben WOAL eingeladen, um ihre Ideen an zwei Themen-Abenden vorzustellen. Auftakt war am 11. Februar 2019.

WOAL – Wohnen ohne Alterslimit – ist ein Verein, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Lebensperspektiven für das Alter zu entwickeln. Entstanden ist die Idee aus dem persönlichen Erleben der Menschen, die den Verein gegründet haben: Da gab es einerseits Erfahrungen mit Angehörigen in Pflegeeinrichtungen, die sowohl für die “Insaßen” als auch für das Pflegepersonal eher deprimierend sind; die überfordernde Erfahrung, selbst Pflegeaufgaben zu übernehmen und die Erfahrungen der Vereinsamung von Menschen, die früher mitten im Leben und in der Gesellschaft standen. Doch es gab auch die Erfahrung, selbstverwaltete Kindergruppen, Schulen, Wohnprojekte etc. mitgegründet zu haben nach dem Motto “Es geht auch anders”.

Die Idee lag also nahe, sich kräftig ins Zeug zu legen und zunächst gemeinsame Träume für ein selbstbestimmtes, solidarisches Altern zu spinnen. Das Ergebnis: Lasst uns doch ein Konzept für ein Wohnprojekt entwickeln, wo die Menschen bis zum Schluss bleiben können, auch wenn sie ganz hilflos oder krank werden. Für Menschen ab 50 Jahren, die noch viel Lebenslust haben.

Rolle vorwärts in die Zukunft

Nach dieser Einführung durch Uschi Tiefenbacher von WOAL gab’s eine humorvolle Darbietung: Das WOAL-Team hat sich zum Teil in Verkleidung geworfen, um die über 60 interessierten Anwesenden in die Zukunft zu entführen. Sie schlüpften in die Rollen von mutigen Menschen, die sich bereits für ein WOAL-Wohnprojekt entschieden hatten und demnächst einziehen werden.

Da ist zum Beispiel Luise. Mit 58 Jahren noch berufstätig. Sie wird mit Hans in eine Partnerwohnung ziehen. Hans ist 62, auch noch im Beruf, hat aber aufgrund eines Unfalls mit Einschränkungen zu kämpfen. Seine Wohnung im 3. Stock ohne Lift ist zu einer Hürde geworden. Luise hat ihn immer unterstützt. Doch Hans will mehr Freiraum für beide. Im Wohnprojekt können ihm auch andere helfen. Er freut sich auf den Lift. Luise wird zwar ihre große Altbauwohnung vermissen, doch sie freut sich darauf, nicht mehr für alles selbst sorgen zu müssen. Endlich wieder auf Urlaub fahren, um die Pflanzen kümmert sich jemand anderer.

Dietlind ist bereits 82 Jahre alt, sie war Architektin. In ihrem Beruf hat sie einige Pflegeheime gesehen, die architektonisch nicht durchdacht waren. Nun konnte sie ihre Ideen einbringen. Sie hat eine große Kunstsammlung, die sie nicht mitnehmen kann. Doch sie ist froh darüber, dass sie ihr Erbe “warm” – also noch bei vollem Bewusstsein – an die nächste Generation weitergeben kann.

Katrin ist erst 50, sie möchte demnächst für drei Monate nach Australien fahren, um ihre Tochter zu besuchen. In der Zeit kann sie ihre Wohneinheit einfach vermieten. Wenn die Tochter nach Wien kommt, war das in der kleinen eigenen Wohnung ein Problem. Doch im Wohnprojekt ist genug Platz. Katrin ist Diabetikerin. Da gibt es immer die Gefahr eines Hypos. Allein in der Wohnung ist das riskant, durch das Wohnprojekt fühlt sie sich sicherer.

Es folgen noch ein paar humorvoll vorgebrachte Beispiele, die einen Grundgedanken aufgreifen: Ein WOAL-Haus soll die Alterspyramide ab 50 wiederspiegeln, sodass ausreichend jüngere Menschen dabei sind und der Anteil der Pflegebedürftigen nicht zu hoch ist.

Die Eckpfeiler des WOAL-Konzepts

Dann stellt Ursula Wagner die vier Eckpfeiler des WOAL-Konzepts vor. Warum nicht gleich in Anlehnung an ein Haus, wo man doch gerne bauen möchte?

  • Solidarität ist das tragende Fundament, auf dem alles aufbaut: für sich selbst und andere Verantwortung übernehmen, Herausforderungen gemeinsam meistern. Gemeinschaft leben, auf die sich alle Beteiligten verlassen können. Im Zusammenhang mit Pflege und Betreuung liegt da die Latte besonders hoch. Doch wenn es gelingt, das zu meistern, ist alles andere im Vergleich leicht.
  • Selbstbestimmung ist die tragende Konstruktion des WOAL-Hauses: Menschen wissen meist bis ins hohe Alter, was sie brauchen, um glücklich und zufrieden zu sein. Das spießt sich oft mit den Plänen der Angehörigen und anderen Machbarkeiten. Doch auch ein Leben mit hohem Betreuungsbedarf kann bis zum Schluss selbstbestimmt sein, wenn genug Vorsorge getroffen wird. Dafür braucht es  Strukturen, Formen und Methoden.
  • Attraktivität tut der Seele gut: Das WOAL-Haus soll auch nach außen einladende “Augen und Ohren” haben und zum Hereinkommen einladen. Das Wohnen soll so attraktiv sein, dass auch Menschen ohne Einschränkungen gerne mit dabei sein und ihre Energie in die gemeinsame Sache stecken möchten.
  • Professionalität ist das schützende Dach, das dafür sorgt, dass die Mauern des Hauses nicht brüchig werden. Pflegeaufgaben können schnell zur Überforderung werden, wenn es dafür nicht ausreichende Ressourcen gibt – sei es die Anzahl der Pflegenden, die Zeit, die sie zur Verfügung stellen können oder aber ihre Qualifikation. Drum braucht es ein Konzept, das Profis mit einbindet. Hier gilt die Devise “Private Hilfe ist fein, aber ein Geschenk. Sicherheit, auf die man sich verlassen kann, entsteht nur durch eine professionelle Struktur.”

Diese Eckpfeiler haben sich als die unersetzlichen Elemente des gemeinsamen Traumes herausgestellt, mit der die sonst sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der Beteiligten erfüllt werden können. Wenn das Haus steht, kann es bewohnt und belebt werden, in diesem Vergleich mit den Konzepten für Betreuung und Organisation, die im zweiten Teil am 11. März 2019 vorgestellt werden und quasi das “Betriebssystem” darstellen.

Vier Thementische

Im Anschluss gibt es vier Thementische, die jeweils einem der vier Eckpfeiler widmen mit der Frage “Woran merken wir, dass die Eckpfeiler umgesetzt sind?” Die Teilnehmenden hielten sich nicht streng an die Leitfrage, umso angeregter waren dafür die Diskussionen.

Ein kleiner Einblick in die Berichte von den Diskussionen an den Thementischen:

Attraktivität:

  • Die Vorlieben für integratives Mehrgenerationen-Wohnen prallen auf jene für ein reines 50plus-Konzept.
  • Soziale Durchmischung und eine zu definierende kritische Größe stellen sich als entscheidende Faktoren dar.
  • Was als “attraktiv” erachtet wird, ist individuell sehr unterschiedlich. Es gibt jedoch Einigkeit, dass die Gestaltung des Eingangsbereichs ausschlaggebend ist. Jedenfalls muss ein WOAL-Projekt auch für die Umgebung attraktiv sein.
  • Als attraktiv gelten Sauna, Fitnessraum, Dachterrasse und eine hauseigene Werkstätte.
  • Die Vermutung geht um, dass es für alles Ausnahmen und individuelle Lösungen braucht.

Selbstbestimmung:

  • Die Gruppe ist sich einig, dass der Begriff “Selbstbestimmung” nicht eindeutig ist.
  • Als sehr herausfordernd könnte sich das Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Starrsinnigkeit erweisen: Was tun, wenn die Selbstbestimmung des einen zur Belastung der anderen wird? Wenn es keine Einsicht, keine Vernunft gibt?
  • Selbstbestimmung für alle zu gewährleisten braucht sehr viel Kommunikation und Ausverhandlung – eine hohe Investition für die Beteiligten. Voraussetzung ist selbst zu wissen, was man will und es auch ausdrücken zu können.
  • Auch die Selbstbestimmung mit anderen aushandeln zu müssen könnte an die Grenzen der eigenen Lernfähigkeit stoßen: Wie geht es Menschen damit, die gewohnt waren, immer alles selbst zu entscheiden?
  • Und etwas konkreter: Was tun, wenn jemand sich ganz selbstbestimmt in Isolation und Verwahrlosung begibt?

Professionalität:

  • Professionalität muss bereits ganz am Anfang des Projekts stattfinden (durch professionelle Begleitung und Projektorganisation)
  • Professionalität muss während des Betriebs laufend weiterentwickelt und angepasst werden, sie ist nie “fertig”.
  • Aus dem Eckpfeiler der Solidarität leitet sich nachbarschaftlich-freundschaftlich-familiäre Unterstützung ab, die aber Grenzen hat: Dort wird an Profis aus dem Bereich Betreuung und Pflege abgegeben.
  • Im Vorfeld zu wissen, dass es Grenzen geben wird, die zu Beginn noch nicht erkennbar sind, erscheint hilfreich.

Solidarität:

  • Die Tischrunde versucht sich der Fragestellung anhand von praktischen Beispielen zu nähern.
  • Auch der Gedanke beschäftigt: Wie kann Solidarität hergestellt werden, wenn jemand das Prinzip nicht versteht? Es geht viel um Vertrauen und Zuhören und darum die Fähigkeiten der anderen kennen zu lernen.
  • Solidarität bedeutet nicht, dass alle das gleiche tun, sondern jeder Mensch wählt einen anderen Weg.
  • Solidarität braucht Räume für gemeinsamen Austausch, Transparenz und den Ausdruck der Bedürfnisse. Unterstützung für Menschen, die ihre Bedürfnisse nicht ausdrücken können, stärkt die Solidarität. Auch sind Strukturen erforderlich, in denen die Grundregeln für die sich laufend verändernden Bedingungen ausgehandelt werden können.
  • Großzügigkeit und die Bereitschaft “fünf grad sein zu lassen” erscheinen als guter Nährboden für Solidarität.

Teil 2

Der zweite Abend beschäftigt sich mit der konkreten Umsetzung im Bereich der Pflege und Betreuung. Dafür wird ein Konzept vorgestellt, ebenso für Fragen der Organisation und der Finanzierung. Teil 2 findet am Mo, 11. März 2019 um 19:30 Uhr im Veranstaltungssaal der Sargfabrik statt (1140 Wien, Goldschlagstraße 169).

Fotos: mit bestem Dank an Franz Leyer