Martin Blum am Fahrrad

Foto: Mobilitätsagentur

Am 17. September 2018 war Martin Blum zu Gast beim Themen-Abend im Matznerviertel. Er ist Fahrradbeauftragter der Stadt Wien und leitet die Mobilitätsagentur. Martin Blum erklärte die Wiener Fahrradstrategie und wie das Radwegnetz organisatorisch in die Stadtverwaltung eingebettet ist. Mit wechselnder „Flughöhe“ schauten wir auf die Situation zum Radfahren im Matznerviertel wie auch in ganz Wien.

In der Einleitung weist Moderator Wolfgang Gerlich darauf hin, dass Radfahren nie isoliert betrachtet werden kann, sondern immer im verkehrs- und städteplanerischen Gesamtzusammenhang zu sehen ist und auch Auswirkungen auf andere Lebensbereiche hat.

Martin Blum erzählt, dass er seit rund 18 Jahren immer wieder per Fahrrad das Matznerviertel besucht und über die Zeit Veränderungen feststellen konnte: Was früher eine abenteuerlich-riskante Fahrt hauptsächlich in Schienenstraßen war, ist nun über weite Strecken schön, etwa in der Goldschlagstraße – auch wenn es noch einiges zu tun gibt.

Zu Beginn der Präsentation gibt’s gleich ein hilfreiches Tool: Was kann ich innerhalb von fünf Minuten alles mit dem Fahrrad erreichen? Oder in 30 Minuten? Auf der Website der Mobilitätsagentur ist der Fahrrad-Routenplaner mit dieser Umkreis-Funktion (gut versteckt) ausgestattet: Im Routenplaner auf „Mehr“ klicken und dann beim Routen-Modus „5 Minuten am Rad“ auswählen. (Screenshot Matznerviertel). Da wird sichtbar, wie weit selbst eine wenige Minuten dauernde Fahrt mit dem Rad uns bringt und uns so sehr mobil macht. Natürlich hängt es auch davon ab, ob die Gestaltung der Straßen einladend oder abschreckend ist.

Fahrradziele der Stadt Wien

Die Stadt Wien hat für das Radfahren ehrgeizige Ziele: Im Jahr 2012 betrug der Radverkehrsanteil 6%, er soll in Zukunft auf über 10% angehoben werden. Im Jahr 1993 wurden noch 40% der Fahrten mit dem Auto gemacht. Durch gezielte Maßnahmen betrug der Anteil im Jahr 2012 nur mehr 27% und soll bis zum Jahr 2025 auf 20% zugunsten von Öffentlichem Verkehr, Radfahren und Gehen gesenkt werden. Wien schneidet schon jetzt im internationalen Vergleich v.a. bei den Öffis sehr gut ab. Verbesserungen sind daher nicht mehr so leicht zu erreichen wie bei einer schlechteren Ausgangslage.

Wien verfügt aktuell über 41.000 Radabstellplätze, das ist eine Verdoppelung seit dem Jahr 2008. Laufend kommen weitere dazu, 2.000–3.000 pro Jahr. Auf mehr als 270 km ist bereits Radfahren gegen die Einbahn erlaubt, während das im Jahr 2000 nur auf 88 km möglich war.

abgestellte Fahrraeder

Auch wenn es noch viel zu tun gibt, steigt in Summe die Zufriedenheit der Radfahrenden in Wien ständig an aufgrund der gesetzten Maßnahmen. Im Matznerviertel wurde z.B. über die Ameisbrücke ein Radweg errichtet, die Goldschlagstraße wurde im 15. Bezirk durch die Öffnung des Spitals bis zur Vorortelinie durchgängig befahrbar, die Kreuzungen sicherer gemacht. Die Ampel bei der Johnstraße erkennt automatisch, ob Radfahrende kommen. Nur das Stück in der Goldschlagstraße bis zur Ameisgasse fehlt noch, um eine durchgängig gute Route zu haben.

Wer ist zuständig?

Die Zuständigkeiten für das Radfahrnetz sind komplex: Die Stadt Wien hat ein Hauptradverkehrsnetz definiert, für das die Stadt zuständig ist: Bestandsverbesserungen, Neuerrichtungen und die Finanzierung dieser Maßnahmen fallen ebenso in die Zuständigkeit der Stadt wie die Entscheidung, ob gebaut wird oder nicht. In der Praxis ist die Verwaltung natürlich an die Zusammenarbeit mit den Bezirken interessiert, die für das nachrangige Radverkehrsnetz zuständig sind und praktisch immer auch bei den „großen“ Entscheidungen eingebunden und angehört werden. Schließlich sind die Bezirke auch für die Erhaltung zuständig (z.B. für die Markierungen), auch wenn es sich um Hauptradwege handelt.

Eine häufig gemachte Beobachtung: Im Vorfeld gibt es um Maßnahmen zur Verbesserung des Radfahrens meist große Aufregung und viel Widerstand, etwa beim Ausbau des Radwegs am Getreidemarkt. Kaum sind die Maßnahmen umgesetzt, will es jedoch niemand mehr anders haben. Doch der Gegenwind macht die Politik oft zögerlich, wenn eine mutigere Herangehensweise gefragt wäre.

In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass Initiativen aus der Bevölkerung wichtig sind, um Anliegen und Bedürfnisse an die zuständigen Stellen zu kommunizieren. Das Erkennen, wann offene Zeitfenster sind, um sich zu beteiligen und der Durchblick, welche Stelle gerade „am Zug“ oder zuständig ist, ist nicht immer einfach. Aus der Diskussion geht hervor, dass gute Vernetzung, Kontakt mit den Behörden und wiederholtes Einbringen der Anliegen wichtig sind, um gute Ergebnisse zu erzielen. Von Seiten der Politik und Verwaltung gibt es sehr oft durchaus Offenheit dafür.

Die Situation im und ums Matznerviertel

Im Matznerviertel und drum herum sind die Märzstraße und die Goldschlagstraße im 15. Bezirk Teil des Hauptradverkehrsnetzes, die Goldschlagstraße im 14. Bezirk aber noch nicht. Hauptradroute war zunächst die Felberstraße. Inzwischen gibt es eine Vereinbarung mit dem Bezirk, ein Gesamtkonzept zu erstellen und umzusetzen, dass die Goldschlagstraße auch im 14. Bezirk zur Hauptroute wird. Davon sind Teile bereits umgesetzt, andere noch nicht. Nun werden gemeinsam mit dem Bezirk die Details dafür ausgearbeitet, um die Goldschlagstraße komplett ins Hauptradverkehrsnetz der Stadt Wien übernehmen zu können. Im Jahr 2019 soll das umgesetzt sein.

Foto: mattilutz

Die Anwesenden bringen ihre konkreten Erfahrungen lebhaft in die Diskussion ein und deponieren zahlreiche Verbesserungsvorschläge, z.B. Rechtsabbiegen bei roten Ampeln für Radfahrende (nicht für Autos), Entschärfungen der gefährlichen Schienenstraßen (Linzer Straße und Hütteldorferstraße) etwa durch überfahrbare Haltestellencaps wie in der Ottakringer Straße im 16. Bezirk. Außer, dass noch immer viele Einbahnen nicht für das Radfahren in beiden Richtungen geöffnet sind (z.B. Felbigergasse, Cumberlandstraße etc.) wurden als die drei dringendsten erforderlichen Verbesserungen für das Radfahren im Matznerviertel identifiziert:

  • Öffnen der Einbahn in der Goldschlagstraße zwischen Amortgasse und Missindorfstraße
  • Radfahrgerechte Bahnunterführung in der Diesterweggasse hinunter nach Hietzing (zumindest Schieberillen für Fahrräder als ersten Schritt)
  • Für Radfahrende leichtgängige Querung der Hütteldorferstraße bei der Kendlerstraße bei der S-Bahn-Station Breitensee

Besonders die Entfernung der Schieberillen in der Bahnunterführung Diesterweggasse war heißes Thema. Die Begründung: (zweispurige) Schieberillen entsprächen nicht mehr den Sicherheitsnormen, da sie Stolperfallen darstellen und nicht barrierefrei sind, ist bekannt, doch was spricht gegen einspurige Schieberillen nur für Fahrräder?

Rampe für Kinderwagen und Radfahrer wurde entfernt

Ausblick

Als gelungenes Beispiel einer Fahrradstraße in Wien wird die Hasnerstraße im 16. Bezirk genannt. Auch wenn es dort noch an einzelnen Kreuzungen Verbesserungsbedarf gibt ist klar: Der relativ gut erhaltene dichte Baumbestand kennzeichnet die Attraktivität der Hasnerstraße. Und so wird auch beim Themenabend Radfahren im Matznerviertel klar:

Lebensqualität im Wohnumfeld drückt sich durch viele Faktoren aus. Dazu gehört ausreichende Bepflanzung, genug Schatten, Sitzgelegenheiten im Straßenraum und komfortable Bewegungsmöglichkeiten zu Fuß und natürlich mit dem Fahrrad.